Der Kampf um bürgerliche Freiheiten?

So hat die junge Welt mit leicht zynischem Unterton ein Inter- view mit einem radikal-Mitarbeiter betitelt, in dem unter an- derem unser Verhältnis zu Pressefreiheit thematisiert wird. Vielleicht gehört es sich ja für eine "militante" Zeitung nicht, bürgerliche Rechte einzuklagen? "Wir erwarten von diesem Staat keine Pressefreiheit", ist häufig bei Veranstaltungen über die Kriminalisierung der radikal zu hören. Das ist so richtig wie falsch.

Sicher ginge es an der Realität vorbei, wenn wir für uns das Recht auf freie Meinungsäußerung Einklagen würden. 14 Jahre Kriminalisierung der radikal sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben aufgrund unserer Erfahrungen entschieden, diese Zeitung verdeckt zu organisieren. Es sollte gewährleistet wer- den, daß wir wirklich ohne Schere im Kopf das veröffentlichen können, was wir für die Organisierung (kaum gehts über die Lippen) revolutionären Widerstands für notwendig erachten, seien es Erklärungen der RAF und der RZ, seien es Erfahrungen aus dem antifaschistischen Kampf. Daß die staatliche Gewalt dem nicht teilnahmslos zuschaut, entspricht deutscher Tradition. Diese Notwendigkeit der verdeckten Organisierung einer Zei- tung wird, je nach gesellschaftlichem Kräfteverhältnis immer wieder bestehen, so wie sie für jede militante oder bewaffnete Struktur per se besteht, vor allem für ein Blatt wie die radikal, das sich diesen Strukturen nicht nur aus journalistischen Aspek- ten verbunden fühlt.

Damit hätten wir die halbe Wahrheit. Sie drückt gleichzeitig aus, daß da offensichtlich mit einer Selbstverständlichkeit herange- gangen wird, die verdeutlicht, wie sehr wir uns selber schon mit den deutschen Verhältnissen abgefunden haben.Nicht in jedem Land ist es selbstverständlich, daß allein das geschriebene Wort schon kriminell ist. Die wenigen linken Medien, auf die wir uns sehr wohl auch positiv beziehen, arbeiten auf der Grundlage der,. Pressefreiheit. Die Pressefreiheit ist eine Errungenschaft der bürgerlichen Revolution, sie hat nichts revolutionäres im Sinne der Ueberwindung kapitalistischer Verhältnisse an sich, genausowenig wie das Einklagen von Menschenrechten oder Gleich heit vor dem Gesetz. Und trotzdem besteht die Politik der radi kalen Linken im Moment schwerpunktmäßig in nichts anderem als dem Einklagen dieser bürgerlichen Errungenschaften, ob nun die Zusammenlegung von RAF-Gefangenen oder das Bleiberecht von Flüchtlingen gefordert wird. Deshalb werden diese Forderungen nicht falsch, im Gegenteil, gerade in der Tatsache, daß der bürgerliche Rechtsstaat seine selbst postulierten Werte nicht verwirklichen kann, liegt das dialektische Verhältnis, das seine Existenz ideologisch in Frage stellt.

Das Terrain der Pressefreiheit freiwillig aufzugeben, schränkt die Medienarbeit der Linken sehr stark ein. Immer wieder werden linksradikale Medienprojekte gezwungen sein, sich dem staatlichen Zugriff zu entziehen, und vielleicht wird dieser Zustand auch eines Tages wieder, wie im NS-Faschismus, Realität für alle kritischen Zeitungen, Radiosender..., trotzdem sollte der noch existente Freiraum so lange wie möglich verteidigt werden. Wir wollen da nichts vormachen, verdeckte Zeitungsarbeit. wie wir sie leisten, stößt an unheimlich viele, auch persönliche Grenzen. Sei es unser unregelmäßiges Erscheinen, seien es Probleme bei der Verteilung oder Unaktualität, viele der Kritiken, mit denen wir konfrontiert sind, resultieren auch aus der ver- deckten Organisierung. Sich freiwillig, ohne Not, auf dieses Ter- rain zu begeben, würde die sowieso schon schwierige Situation der radikalen Linken noch weiter einschränken. Wir unterstellen natürlich nicht, daß alle danach drängen, sich an unsere Form des Zeitungsmachens zu orientieren, aber in der letzten Konse- quenz steckt hinter dem Verzicht auf die Forderung nach Presse- freiheit nichts anderes.

Um nicht misverstanden zu werden, natürlich ist die "Pressefreiheit" hier in Deutschiand eine Farce. Besser betitelt könnte sie auch lauten, die Freiheit des Geldes "Worte und Bil- der zu Waren werden zu lassen". Wenn wir also meinen, es ist wichtig Pressefreiheit nicht einfach zu ignorieren, so haben wir damit eigentlich die Thematisierung der heutigen Medienland- schaft im Kopf, in der alle Ansätze emanzipatorischer Politik in einem seichten Unterhaltungsfilm von Nebensächlichkeiten un- tergeht.

“Sprüche wie “was wahr ist, wird auch gedruckt” etc., sollten wir besser stecken lassen, denn jedeR weiß doch, daß alle Medien lügen und ihre eigene Konstruktion von Wirklichkeit erzeugen.” (Die Drei von der Tankstelle in ihren Gedanken zu einer Öffentlichkeitsarbeit, Sept.95)

Wir und Lügen, das ist empörend - aber ernsthaft geantwortet, wir sind uns bewußt das unser bescheidenes Medium sehr selektive Nachrichten produziert, unter anderem deshalb ist vor Jahren das Projekt O.L.G.A. ins Leben gerufen worden, um die Wahrheitskonstruktion nicht nur den einzelnen Gruppen zu überlassen. sondern einen ganz spezifischen Raum zu schaffen, wo möglichst viele sich ihren Platz nehmen können.

Aber sowieso ist das nur die halbe Seite der Medaille, die andere ist unserer Auffassung nach, daß es nicht unbedingt das Problem ist zu sagen was wahr ist, sondern es in einen Gesamtkontext zu stellen. Einzelne Wahrheiten werden durchaus nicht nur in links-radikalen Medien verbreitet, aber sie gehen in dem massigen und erschlagenden Medienangebot so dermaßen unter, daß sie von niemanden weiter registriert, geschweige denn verarbeitet wird, weil bereits im nächsten Moment/am nächsten Tag wieder ein neuer Schwung von (Halb)Wahrheiten und Belanglosigkeiten einem/r um die Ohren gedroschen wird.

Die Medien ersticken mit ihren Belanglosigkeiten den Blick auf’s Ganze, die Männer und Frauen werden angetrieben, sich mit Ablenkungen oder einfachsten Erklärungsmustern des Main-streams und damit der herrschenden Norm zufrieden zu geben. Einzelne Wahrheiten werden dadrin nur selektiv preisgegeben und werden bereits dadurch wieder unwahr, weil sie in keinen Gesamtkontext gestellt werden, bzw. weil zig andere Wahrheiten drumherum- wiederrum verschwiegen werden.

Die große verschworene Gemeinde